Kölner Stadtanzeiger 2015

Greifvogelstation am Rösrather Turmhof Aufbruch ins wilde Leben

Von Karin Grunewald 

08.03.15, 15:18 Uhr

 

Rösrath -

Dirk Sindhu wird der letzte Mensch sein, der den Mäusebussard angefasst hat. Zumindest, wenn alles gut geht, und es geht meistens gut. „Pscht...“, flüstert er dem aufgeregten Vogel beruhigend zu, bevor er langsam zu zählen beginnt. Eins, zwei, drei. Sindhu führt die Hände mit dem Vogel gen Himmel und lockert seinen Griff. „Guten Flug“, murmelt ein Zuschauer noch und blickt versonnen hinterher, als der Vogel sich in die Lüfte erhebt. Elf gefiederte Gäste der Greifvogelstation am Turmhof in Rösrath wurden am Samstag nach ihrer Genesung wieder in die Freiheit entlassen.

Für die Vögel ist die Auswilderung die Rückkehr ins artgerechte Leben, und allein das war das Ziel ihres Aufenthalts. Für die Menschen, die ihnen dabei helfen, ist ein solcher Tag auch eine Gratwanderung zwischen Wildtierschutz und Öffentlichkeitsarbeit. Die Greifvogelstation finanziert sich über das Privatvermögen ihres Gründers und Leiters Dirk Sindhu, der immer wieder sein Gehalt als Chef der Kardiotechnik im Herzzentrum der Uniklinik Köln in seine Station steckt, und durch Spenden.

Wer einmal einem Bussard oder Uhu in die Augen geblickt hat, der weiß, wofür er gespendet hat, und er wird diesen Augenblick nie vergessen. Für Bussard und Uhu hingegen sind Menschen Stress, und auch die putzigen Waldkäuze wären vermutlich noch lieber in der Dämmerung und ohne verzückte Ausrufe in die Freiheit geflogen. Dirk Sindhu hat den Kreis derer, die dabei sein dürfen, daher bewusst klein gehalten. Es sind überwiegend Spender der neuen Auswilderungsvoliere.

Eine von ihnen ist Monika Mai. Fast 300 Kilometer ist sie zusammen mit ihrem Sohn Paul (9) aus der Nähe von Kaiserslautern gefahren, um dabei sein zu können. „Ich habe eine kleine Erbschaft gemacht“, erzählt sie. „Im Zuge dessen ist mir klar geworden, dass ich davon denen etwas abgeben möchte, die ihr Herzblut in eine gute Sache stecken.“ Gespendet hat sie über die „Eco-Crowd“-Internetplattform der Deutschen Umweltstiftung, die nachhaltige Projekte vorstellt, die dann von der Gemeinschaft („Crowd“) finanziert werden. Bei erfolgreicher Finanzierung erhalten die Unterstützer ein Dankeschön vom Projektinitiator. Hier zum Beispiel die Einladung zur Auswilderung.

Wie wichtig die neue große Voliere ist, demonstriert der Graureiher. Nach seiner Freilassung hüpft er etwas unkoordiniert durch die Gegend, flattert mit den Flügeln und der zwei Meter hohe Zaun scheint ihm definitiv zu hoch für den Anfang. „Die Voliere, in der er war, ist groß, aber zum Fliegen reicht sie nicht“, erklärt Sindhu. „Die Vögel müssen, wie Menschen auch, erst wieder Muskeln aufbauen.“ In der Großvoliere wird ihnen das in Zukunft möglich sein. Auch die Bussarde fliegen zwar umgehend los, machen aber schnell Pause auf den nahen Baumwipfeln.

„Bewegend“, sagt Monika Mai nur, als der Bussard weg ist. Weitere Worte fehlen ihr. Später sagt sie noch: „Jeder der 300 Kilometer hat sich gelohnt. Und jeder Euro sowieso.“ Der majestätische Uhu wird bewusst lange nach den Bussarden freigelassen, denn sie passen in sein Beuteschema. Als Dirk Sindhu den Griff um die Fänge lockert, fliegt der Uhu nicht. Stattdessen schaut er Sindhu noch mal tief in die Augen, als wolle er Danke sagen. Das stimmt natürlich nicht, denn er ist kein Mensch, er ist ein Uhu. „Er ist einfach irritiert“, erklärt Sindhu. Dann begreift der Uhu, breitet die Schwingen aus und schwebt knapp über die Köpfe der Zuschauer hinweg in sein zweites wildes Leben.

 

 

 

– Quelle: https://www.ksta.de/1718298 ©2018